Wieviel Beschäftigung braucht ein Hund, um glücklich und ausgeglichen zu sein?
Jeder Hund ist individuell
Hunde sind so individuell wie wir Menschen. Jedes Individuum hat seine eigenen Bedürfnisse und jede Altersgruppe ebenfalls. Ein Hütehund kann hüten, muss es aber nicht. Ein Apportierhund kann apportieren, muss es aber nicht. Ein Schlittenhund kann Schlitten ziehen, muss es aber nicht. Genauso wenig wie sogenannte Kampfhunde zwar kämpfen können, es hoffentlich aber nicht müssen, weil sie es auch gar nicht möchten!
Menschen haben Hunderassen gezüchtet, bei denen gewisse Fähigkeiten (z.B. Jagen, Hüten und Wachen) erwünscht sind. Darf der heutige Herdenschutzhund wachen oder wird er ausgeschimpft, sobald er am Gartenzaun bellt? Übrigens waren auch Chihuahuas urspünglich Wächter, sowie es in der Natur von Hunden liegt, Eindringlinge zu melden. Du siehst: natürliche Beschäftigungen werden Hunden oft verboten, aber Beschäftigungen, die dem Menschen gefallen, dem Hund aufgedrängt.
Wer macht sich mehr Gedanken über Kommandos wie "Sitz, Platz und Fuß"? Der Hund oder doch eher der Mensch?
Kein Border Collie würde über Hindernisse springen, die er auch umgehen kann. Kein Hund freiwillig in Ärmel beißen, außer man befiehlt es ihm im Schutzhundesport. Hunde sind Energiesparer. Kaum ein Tier rennt länger als ein paar Minuten, außer es ist auf der Flucht oder jagt, um Beute zu machen. Sind Hunde hektisch, hibbelig oder leiden am sogenannten ADHS-Syndrom, liegt die Ursache meistens in Überforderung, gut gemeinter Auslastung, übertriebenem Hundesport, Ballwerfen (Balljunkie) oder neben dem Fahrrad mitlaufen (in Österreich verboten).
Auch geistige Auslastung wird oft mit dem Trainieren von Kommandos wie "Sitz, Platz und Fuß" verwechselt. Ein Hund kann von Natur aus sitzen, liegen und läuft im besten Fall gerne in der Nähe seiner Bezugsperson. Befiehlt man ihm diese Kommandos, wird er dadurch nicht klüger, ausgepowerter oder glücklicher. Es ist, als würden wir ein und dasselbe Kreuzworträtsel immer und immer wieder lösen müssen oder als Tiger durch Reifen springen. Durch weniger Forderungen und im Rahmen der Sicherheit den Hund auch "Hund sein lassen", entwickeln sie sich intensiver zu den folgsamen und erzogenen Hunden, die sich der Mensch wünscht. Versuche es und lass dich überraschen!
In der Ruhe liegt die Kraft
Hunde wissen was ihnen gut tut: bis zu 20 Stunden am Tag schlafen und ruhen sie. Aktive Phasen und Ruhephasen wechseln sich ab. Das ist ein natürlicher Rhythmus. Ohne menschlichen Einfluss bewegen sie sich wenig und verbringen die meiste Zeit mit Schnüffeln, Körperpflege und Spielen. Ruhe kannst Du auch gemeinsam mit deinem Hund praktizieren: liegt er entspannt auf dem Boden, setz dich in Ruhe daneben und genieße diese Zweisamkeit. Hast du schon einmal deinen Hund beim Spaziergang beobachtet? Er kann Ewigkeiten damit verbringen, an einem Grashalm zu riechen. Er ist so fokussiert und lässt sich durch nichts stören. Oder wenn er auf der Terrasse liegt und einen Vogel beobachtet, der umher hüpft. Das ist für ihn so spannend wie für uns ein Krimi.
Je mehr der Hund "ausgepowert" wird, desto mehr Adrenalin produziert sein Körper. Und das macht süchtig, wie Drogen beim Menschen. Hunde, die keinen ausreichenden Schlaf bekommen, sind gestresst und reagieren oft gereizt, aggressiv, übersensibel und unkonzentriert. Auch Depressionen und Burn-Out können die Folgen sein.
Beim nächsten Gassi Gang lass dein Handy zu Hause. Beobachte stattdessen deinen Hund. Was tut er, wie oft schaut er dich an, was findet er spannend, wie reagiert er wenn er etwas in der Ferne sieht. Konzentriere dich nur auf deinen Hund und deine Umgebung.
Selbstbestimmung ist ein seelisches Grundbedürfnis
Hunde wie auch Menschen haben das Grundbedürfnis, ihr Leben selbst beeinflussen zu dürfen und auch ein Mitspracherecht zu haben. Lass deinen Hund doch das nächste Mal entscheiden, welchen Weg er gehen möchte. Vielleicht will er aber auch einfach nur zuhause mit dir spielen. Oder am Wegesrand ein Loch graben oder länger in der Wiese schnüffeln.
In einer Gesellschaft, wo es ohnehin meistens schnell gehen muss, der Stadtlärm für Hundeohren lauter ist als für unser menschliches Gehör, sollte viel freie Zeit für Entspannung zur Verfügung stehen.
Gemeinsam auf einer Decke in der Wiese entspannen, durch den Wald bummeln, den Hund schnüffeln und auch mal die Richtung des Spaziergangs selbst bestimmen lassen. Gräbt dein Hund gerne in der Erde? Sitzt er gerne neben dir auf einer Parkbank? Beobachte deinen Hund einmal, was IHM Spaß und Freude macht, ohne ihn direkt zu beeinflussen oder ihm Signale für Aktivitäten zu geben. Der Spaziergang sollte dem Hund gehören. Das Gefühl Gerüche ausgiebig aufnehmen zu dürfen, geht direkt ins limbische Zentrum des Gehirns, dem Areal der Emotionen. Das sorgt für Wohlbefinden und ist ja bereits eine freiwillig gewählte artgerechte Beschäftigung.
Du wirst erstaunt sein, um wieviel kürzer die Galopp-Phasen sind, wenn dein Hund nicht zum Rennen und Springen animiert wird. Du wirst erstaunt sein, welche seiner Facetten dir dein Hund noch zeigen wird, wenn du auf seine selbstgewählten Beschäftigungen eingehen lernst.
Deine Dozentin Catharina Pichler, tierschutzqualifizierte Hundetrainerin, Verhaltensberaterin, Traumafachkraft, Gesundheitscoach, Ernährungsberatung, Massage & Fitnesstraining, Welpencoach, Naturheilkunde (info@hundepfotenakademie.at)
